Ausnahmsweise: Es wird politisch. #ausgruenden

Ich habe lange mit mir gerungen und überlegt, ob ich zu der Bundestagswahl vom 25.09.2017 überhaupt etwas schreibe. Ob ich die richtigen Worte finde. Ob das hier der richtige Ort ist. Ob es überhaupt zu einem Lifestyleblog passt, auf dem es hauptsächlich um schöne Dinge geht. Um das schöne Leben. Nur: der schönste Lifestyle nützt einem nichts, wenn die Umstände nicht stimmen. Wenn sich etwas verschiebt. Nach rechts. Wenn sich in der Gesellschaft Tendenzen und Entwicklungen abzeichnen, die unser freiheitlich, offenes, demokratisches und liberales Zusammenleben gefährden. Ja, 87,6% der Wähler haben die AfD nicht gewählt. Richtig. 12,4% aber schon. Und das sind meines Erachtens zu viele.

Wer AfD aus Protest wählt nimmt den Einzug rechtspopulistischer Personen in den Bundestag billigend in Kauf

Es macht keinen Unterschied, ob man die AfD aus Überzeugung gewählt hat oder aus Protest. Jeder, der sie aus Protest gewählt hat, nimmt billigend in Kauf, dass damit eine rechtsgerichtete Partei in den Bundestag eingezogen ist. Dass dort nun Abgeordnete sitzen, die sogar vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Die mit Rechtsradikalen sympathisieren und die Gleichheit der Menschen in Frage stellen.

Gefühl zählt in politischen Diskussionen mehr als Fakten

Aussagen wie: “Deutschland geht den Bach runter!” und “Ausländer nehmen dir deinen Job weg!” sind gefährlich und vor allem: Kaum belegbar. Doch darum scheint es nicht mehr zu gehen. In meiner journalistischen Ausbildung damals habe ich allerdings genau das gelernt: Jeder Fakt muss wahr und belegbar sein. Alles andere ist ein diffuses Gefühl. Doch genau da liegt das Problem: Die “neue Rechte”, die Rechtspopulisten arbeiten nur noch mit Gefühl, mit der Angst der Menschen. Fakten und für diese Fakten auch noch Lösungsansätze haben sie nicht. Das war sehr schön bei Anne Will am Wahlsonntag zu sehen. Besonders ans Herz legen möchte ich hier den Podcast von Sascha Lobo zum dazugehörigen Artikel: Die AfD verstehen, ohne Verständnis aufzubringen. Er erklärt aus meiner Sicht wahnsinnig treffend und haargenau die Problematik und warum es so schwer ist, zum Beispiel auf Facebook, mit Anhängern der AfD zu diskutieren. Warum man mit Argumenten nicht weiterkommt: Es ist gar nicht gewünscht. Und wie es überhaupt kommen kann, dass diese Partei die am meisten gelikete deutsche Partei auf Facebook ist.

Am Wahltag, nachdem ich meine zwei Kreuze gemacht habe, schrieb ich auf Twitter: “Ich war nie stolz, Deutsche zu sein. Aber ich möchte mich heute Abend nicht schämen.” Natürlich kam es anders, das war vorauszusehen. Stolz war und bin ich nicht, weil ich das Prinzip des Nationalstolz nie verstanden habe und ich es schwierig finde, auf ein Land als solches stolz zu sein, deren Anführer über eine Dekade das schlimmste Menschheitsverbrechen der Geschichte begangen haben. Tatsächlich habe ich mich, bestimmt auch aufgrund familiärer Verzweigungen, stets mehr als Europäer gesehen. Vielleicht liegt das aber auch an der Generation, wenn man in den 80er Jahren mit dem Fall der Mauer und der Europäischen Union aufgewachsen ist. Vielleicht ist es Einstellungssache. Jedenfalls: Deutscher Nationalstolz geht mir völlig ab. Geschämt allerdings habe ich mich bislang nicht. Als ich Anfang der 2000er als Au Pair Mädchen in den USA bei einer jüdischen Familie war, versicherten sie mir sinngemäß etwas wie: Kein Grund dir Sorgen zu machen, deine Generation kann da nichts für. Das fand ich beeindruckend. Umso beeindruckender, als ich erfuhr, dass der Großvater ein Überlebender des Holocaust war und er keinerlei Probleme mit mir als Deutsche hatte.

Nun schäme ich mich.

Nun schäme ich mich für die 12,4%. Dass es möglich ist, dass 72 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs rechtes Gedanken”gut” wieder ein so große Bühne bekommt und Akzeptanz erhält. Dass Probleme auf DIE (Geflüchtete, Andersdenkende, Andersfarbige, Andersliebende) geschoben werden. Dass wir nach allem, wofür Mütter, Tanten und starke Frauen gekämpft haben, dass im Bundestag so wenig Frauen wie seit 1994 nicht mehr sitzen.

Das alles möchte ich nicht. Dem gilt es, entgegenzutreten. Wer nicht aufsteht, sich nicht empört, nimmt in Kauf, dass diese Strömungen weiter Fuß fassen in der Gesellschaft und sich ausbreiten können. Rassismus und Antisemitismus dürfen nicht geduldet und erst recht nicht normalisiert werden. Hier sei auch gerne an Artikel 3 des Grundgesetz erinnert.

Und ja, zum Wesen einer Demokratie gehört es, dass die AfD zur Wahl stand. Das muss ich akzeptieren. Ich muss es aber nicht gut finden.

Anbei stelle ich noch einige Links zu dem Thema zu Artikeln oder Petitionen: